Sportunterricht unter Corona-Bedingungen im Sommer 2020

Bericht einer Lehrerin

Die Schule beginnt im August. Meine neue Klasse ist eine AvM-Klasse, die in einem Jahr den MSA-Abschluss schaffen will. Ich bin Klassenlehrerin, unterrichte Mathematik, Arbeitslehre … und SPORT. Die Bedingungen nicht nur für den Sportunterricht sind von Anfang an schwierig: Maske und Mindestabstand sind die vorherrschenden Themen. All diejenigen, die mit einer Maske in den zweiten oder dritten Stock eines Gebäudes gehen, wissen: Körperliche Ertüchtigung mit Maske ist unmöglich! Mein Sportlehrerdasein wird auf die Probe gestellt. Die bislang favorisierten Unterrichtseinheiten sind schlecht bzw. gar nicht umsetzbar, da Belastung und auch Körperkontakt im Sportunterricht eigentlich sinnvoll und gewünscht sind. Seit Jahren starte ich mit der Unterrichtseinheit „Teambildung“. In diesem Jahr nicht – wie auch, mit Mindestabstand?!  

Was tun? Ich fange an, das komplette Jahr unter den neuen Bedingungen zu planen, denn wir wurden schon vorsichtig darauf vorbereitet, dass dieses kommende Schuljahr kein normales sein wird, die Bedingungen also das ganze Jahr so bleiben könnten. Was bleibt? Theorieunterricht im Sportunterricht, Stepp-Aerobic, Fitness, Joggen … dann die Idee: FAHRRAD FAHREN! Denn – getreu nach Jürgen Drews „Es ist Sommer, und was ist schon dabei“. Wir haben an der BS01 das große Privileg, einen Klassensatz intakter Fahrräder zu haben. Außerdem habe ich für vier Wochen André, einen Sportstudenten im Praktikum, an meiner Seite, so dass wir die vorgesehenen Sicherheitsvorschriften gut einhalten können. Perfekt, die Idee ist geboren und los geht die Planung für 18 Schülerinnen und Schüler, davon 10 Jungs und 8 Mädchen. Ihre Herkunftsländer sind: Afghanistan, Syrien, Somalia, Eritrea, Albanien, Kroatien und Brasilien. Bei der ersten Abfrage, wer alles Fahrradfahren kann, gehen alle Finger hoch, und ich bin beruhigt. Denn trotz zwei eigener Kinder, denen ich das Fahrradfahren beigebracht habe, fällt mir die Vorstellung schwer, hinter einem meiner Schüler herzulaufen und ihn oder sie dabei am Kragen festzuhalten. Was für ein Bild! Weder im Studium noch im Referendariat bin ich auf diese Situation vorbereitet worden.

Die erste Stunde: 11.08.2020, 13:30 Uhr, Treffpunkt Tiefgarage der BS01. Für jeden Schüler und jede Schülerin suchen wir ein passendes Fahrrad und einen passenden Helm heraus. Ich bin euphorisch. Wir starten mit der Praxis und jeder muss einzeln vorfahren. Oje, da wird mir erst einmal angst und bange, als ich die Techniken des Aufsteigens sehe. Es ist wirklich alles Vorstellbare und auch Unvorstellbare dabei: Losrennen und Aufspringen, Fuß auf die Nabe stellen und aufsteigen, von rechts aufsteigen, auf dem Sattel sitzend in totaler Schräglage mit einem Fuß auf dem Boden. Es ist gruselig. Ich schraube meine Vorstellung von einer entspannten Fahrradtour zurück, wir bleiben vorerst in der Tiefgarage, üben vernünftiges Aufsitzen und kontrolliertes Losfahren. Am Ende der Unterrichtstunde kann ich mit gutem Gewissen behaupten, dass meine Schülerinnen und Schüler sicher aufsitzen und losfahren können.

Die zweite Stunde: 18.08.2020, 13:30 Uhr, Treffpunkt Tiefgarage der BS01. Wir starten mit einer kurzen Wiederholung, um das sichere Aufsitzen und Losfahren zu reaktivieren. Anzeigen, Haltesignal beachten und Schulterblick werden ebenfalls eingeführt. Da alles problemlos klappt, machen wir uns auf den Weg aus der Tiefgarage hinaus in die weite Welt mit all ihren Gefahren und Vorschriften. André vorweg, er hat die Route ausgearbeitet. Ich bilde das Schlusslicht, um den Überblick zu behalten. Die Schülerinnen und Schüler müssen in einer Reihe hintereinander herfahren, so dass wir insgesamt auf einer Länge von ca. 50 – 60 m am Straßenverkehr teilnehmen. Das ist echt lang. Manchmal verliere ich den ersten Teil der Gruppe aus den Augen, aber André ist ja da. An den Ampeln und an Kreuzungen benötigen wir viel Zeit, meistens zwei bis drei Ampelschaltungen, bis alle auf der anderen Seite sind. Wichtiger ist aber, dass wir gesund und munter ohne größere Zwischenfälle nach 60 Minuten wieder an der Schule ankommen. Ich bin sehr erleichtert!

So ging unsere Unterrichtseinheit über sechs Wochen weiter bis zu den Herbstferien. André hat seine Praktikumszeit beendet und nun übernehmen einzelne sehr verantwortungsbewusste und sichere  Schüler die Spitze. Da ich in der Klasse insgesamt 12 Stunden pro Woche unterrichte, kann ich die Themen Sicherheit und Vorschriften in meine anderen Unterrichtstunden integrieren. Dort teile ich Arbeitsmaterial aus, gebe Hausaufgaben und bespreche sie. Die Theorie können wir im Praxisunterricht umsetzen, indem wir z. B. immer wieder an wichtigen Verkehrsschildern und Gefahrenpunkten stehen bleiben. Besonders in Erinnerung bleibt mir dabei der Tag, an dem wir einen Kreisverkehr durchfahren müssen und das bei der ersten Durchfahrt es fast zu einem Verkehrschaos geführt hätte. Ich habe der Klasse daraufhin noch einmal die Theorie erklärt und es richtig vorgeführt. Anschließend musste alle in Zweier-Gruppen den Kreisverkehr noch einmal durchfahren.

Fazit: Es hat großen Spaß gemacht! Viele meiner Schülerinnen und Schüler haben einen guten Gleichgewichtssinn und konnten schon vor der Unterrichtseinheit sicher fahren. Sie haben aber viele Regeln für den Straßenverkehr dazu gelernt. Einige von den Schülerinnen hatten anfangs Probleme mit dem Gleichgewichtssinn. Im Laufe der Zeit wurde es immer besser und ich muss, wie so oft im Leben feststellen: Fahrradfahren lernt man durch Fahrradfahren!

Vielen Dank an meine AvM 20/3 und an André

Patrizia Schweer